- Literaturnobelpreis 1979: Odysseas Elytis
- Literaturnobelpreis 1979: Odysseas ElytisDer griechische Lyriker erhielt den Nobelpreis für seine Poesie, die mit sinnlicher Kraft und intellektueller Klarsicht den Kampf eines modernen Menschen für die persönliche Freiheit gestaltet.Odysseas Elytis (eigentlich Odysseas Alepudelis), * Heraklion (Kreta) 2. 11. 1911, ✝ Athen 18. 3. 1996; Winter 1940-41 Teilnahme am Albanienkrieg, 1948-52 und 1969-72, zur Zeit der Militärjunta in Griechenland, Aufenthalt in Paris; schuf eine zugleich surrealistische, wie naturverbundene und bildhafte Lyrik. Schlüsselfigur der neugriechischen Dichtung.Würdigung der preisgekrönten LeistungNachdem über Jahrzehnte große griechische Dichter und Prosaschriftsteller wie Kostis Palamas, Angelos Sikelianos, auch der weit über die Grenzen seines Heimatlands bekannte Nikos Kasantzakis vergeblich gehofft hatten, mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt zu werden, nachdem auch Griechenland selbst lange ohne Erfolg mit einer solchen Auszeichnung seiner geografisch bedingten isolierten Position zu entrinnen suchte, erfolgte diese Ehrung in kurzer Zeit gleich zwei Mal: 1963 an Giorgos Seferis und 1979 an Odysseas Elytis. Dem weltläufigen Seferis folgte der eher privatisierende Elytis, der, ebenfalls hoch gebildet, im Vergleich zu seinem Vorgänger mehr der griechischen Gegenwart verhaftet bleibt.Beide Nobelpreisträger schöpfen erkennbar aus dem griechischen kulturellen Fundus und sind damit wirkliche Repräsentanten ihres Lands. Beider Werkzeug ist die griechische Sprache, mit der sie souverän umzugehen wissen; von ihrer altgriechischen Ausprägung angefangen bis zu einem Neugriechisch der Gegenwart, das sich auszeichnet durch Glanz, Klang und Sprachmächtigkeit.Wichtig ist das WortElytis verglich einmal seine Arbeit mit der Sapphos: »Wichtiger als alles ist, dass wir, jeder auf seine Weise, mit den gleichen Begriffen arbeiten, um nicht zu sagen, mit den gleichen Wörtern: dem Himmel und dem Meer, der Sonne und dem Mond, den Pflanzen und den Mädchen, der Liebe. Eine Konjunktion halb im Himmel und halb auf der Erde, halb im Ungewissen und halb in der Unsterblichkeit.« Damit beschreibt Elytis in der Tat das poetische Sujet der meisten Gedichte. Er schreibt den einzelnen Wörtern eine ungeheure Kraft zu. Man müsse sie nur von ihrer Nützlichkeitsbotmäßigkeit befreien. Von ihrem Magnetismus spricht er und meint damit ihre Anziehungskraft und ihre Faszination, das Bestrickende in ihnen.Das ist wichtig zu wissen, wenn man sich der Lyrik Elytis' nähert und wenn deren Sinn sich dem Leser nicht sogleich erschließen will. Denn Elytis ist ein Kind des (hauptsächlich französischen) Surrealismus, auch wenn er den orthodoxen Surrealismus ziemlich rasch als die seinen Vorstellungen nicht wirklich gemäße Form der Wirklichkeitsbeschreibung ansieht. Elytis möchte die Welt gerade nicht in ihre Bestandteile zerlegen und sie dann neu zusammensetzen, er möchte ihre innere Einheit erkennen und benennen. Auf seine Weise natürlich, die in ihrer poetischen Ausformung das surrealistische Muster häufig verlässt. Das Augenmerk ist auf das einzelne Wort, seine Sinnhaftigkeit und seine Strahlkraft zu richten.Dabei hilft einem der Dichter in manchen Fällen, indem er das Schlüsselwort, auf das es ihm ankommt, in besonderer Weise herausstellt. So zum Beispiel in dem »Der Ägäis« gewidmeten Gedicht aus der ersten Sammlung »Orientierungen« (1936), das mit den Versen beginnt: »Der Eros / Der Archipelagos / Und der Bug seiner Wellen / Und die Möwen seiner Träume / Auf dem höchsten Mast schwenkt der Matrose / Ein Lied.« Eros, die Liebe, als wichtigstes Signum lässt dann auch die folgenden Strophen beginnen, abgelöst durch die für Elytis ebenfalls typischen Begriffe wie Sonne, Horizont, Frische, Leben.Lebensbejahung und Lebensfreude, wie sie der Eros schenkt, der auch dem vermeintlich Unbelebten seinen Atem gibt, sind kennzeichnend die Dichtung Elytis' überhaupt, auch wenn zwischendurch dunklere, schwerer verständliche Töne zu hören sind. Die kleinsten wie die größten Dinge, Sonne und Mond wie Steine und Muscheln, finden Elytis' Interesse, werden beseelt oder besser: Ihr Beseeltsein wird vom Dichter entdeckt und herausgestellt. Der Mensch wird in ihren Kosmos platziert, er ist ein Teil von ihm, nicht ihr Bezwinger und Beherrscher. Insofern ist er ihnen gleichgestellt und sie ihm. Hierin wird eine der Welt innewohnende Einheit sichtbar beziehungsweise von den Versen des Dichters offenbar gemacht.Existenzielle TrauerDiese Einheit weist immer wieder auch Risse auf, von Menschenhand verursacht. Mit 29 Jahren nimmt Elytis am Albanienkrieg im Winter 1940/41 teil, den der italienische Faschismus Griechenland aufgezwungen hat. 1945 wird das »Helden- und Trauerlied auf den in Albanien gefallenen Unterleutnant« publiziert, in welchem Elytis seine Erlebnisse und Gefühle aus diesem kriegerischen Ereignis verarbeitet. Existenzielle Trauer lässt ihn hier Worte finden und Verse formen, die die verständlichsten sind in seinem gesamten Werk. Für spielerisches Experimentieren ist hier kein Raum.Von gleichem Ernst ist ein langes Gedicht, das sich formell an die gottesdienstliche Liturgie der griechisch-orthodoxen Kirche anlehnt; »Es ist würdig und recht« (1959). Es ist in drei Teile gegliedert: »Genesis«, »Passion« und »Lobpreisungen«. Inhaltlich aber ist es ein Hymnus auf das griechische Volk in seiner langen Tradition. Auch in der Sprache trägt das Werk dieser Tradition Rechnung, indem es sich gelegentlich älterer Sprachformen bedient. Die Vertonung großer Textstücke durch den Komponisten Mikis Theodorakis hat es weit über Griechenland hinaus bekannt gemacht.Dem spürbaren Ernst dieser mittleren Schaffensperiode folgt die Rückkehr zu den heiteren Anfängen, wenn jetzt auch nicht mehr so ausgeprägt und eindeutig. Häufiger ist jetzt von Trauer und Einsamkeit die Rede nach den Erfahrungen des inzwischen gelebten Lebens. Noch immer aber oder wieder gelten die Verse aus der frühen Sammlung »Sonne die erste« (1943). »Was ich liebe, entsteht unaufhörlich / was ich liebe, befindet sichimmer an seinem Anfang«. Was Form und Bildgestaltung anbelangt, ließe sich jetzt sogar von einem neosurrealistischen Neuansatz sprechen.»Sechs und ein Gewissensbiss wegen des Himmels« (1964) steht am Beginn dieser dritten Schaffensperiode, in der es nicht mehr um die Identität des Griechentums geht, und die sehr viel persönlicher ist. Sie reicht über so bekannt gewordene Sammlungen wie »Die Sonne, der Sonnenherrscher« (1971), das szenische Großgedicht »Maria Nepheli« (1979) bis zu den »Elegien der Oxopetra« (1991). In diesen letzten Gedichten, wie stärker noch in dem ein Jahr vor seinem Tod erschienenen Band »Westlich der Trauer« (1995), blickt der Dichter bereits über die Grenze, die er bald überschreiten wird zu einer Reise jenseits des Sichtbaren.Auch die Zeugnisse seiner sonstigen künstlerischen Begabungen zeichnen Elytis aus: Collagen und farblich fein abgestimmte Aquarelle; wie die Wörter sind auch sie Meilensteine auf dem Schaffensweg dieses Dichters der Ägäis, der Liebe und des Lichts.G. Emrich
Universal-Lexikon. 2012.